News 26.03.2025

Touristiker:innen und Tourist:innen

Atelier Segantini in Maloja
Der Artikel «Wir alle sind Touristen und Touristiker» stammt aus dem FRIDA Magazin und wurde von Mathias Balzer am 27. März 2025 bei der Veranstaltung «Spazi avert & Ufficinas» von graubünden Cultura vorgetragen.

Der Verein graubünden Cultura hat sich zum Ziel gesetzt, den Kanton Graubünden als eine der führenden Kulturtourismusregionen der Alpen zu positionieren. In seiner Rede geht Mathias Balzer der Frage nach, wie der Kulturtourismus der Zukunft aussehen könnte und welche Rolle Kultur und Tourismus dabei spielen. Er betrachtet die historische Entwicklung beider Bereiche und beginnt dabei mit der Frage: Was war zuerst da – die Kultur oder der Tourismus?

Balzer beantwortet diese Frage eindeutig zu Gunsten der Kultur. Die Entstehung des Tourismus in den Alpen verdankt sich kulturellen Werke wie Jean-Jacques Rousseaus «Julie ou la Nouvelle Héloise», die die Alpen und ihre Bewohner idealisierten und das Bild einer naturverbundenen Lebensweise prägten. Diese Literatur trug dazu bei, die Alpen als Destination für Erholung und Erneuerung zu etablieren. Rousseau selbst stellte die Stadt als einen Ort der Entfremdung dar und propagierte die Natur als Quelle der menschlichen Erneuerung. Künstler wie Giovanni Segantini und Friedrich Nietzsche trugen zur Wahrnehmung der Region als kulturellen und spirituellen Ort bei. Der Tourismus wurde in Graubünden so zu einem wichtigen Pfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung, und als seine Bewohner:innen wurden wir in gewisser Weise alle zu Touristiker:innen, selbst wenn wir nicht direkt in der Branche tätig sind.

Wir sind aber nicht nur alle Touristiker:innen. Sondern auch Tourist:innen: «Für ein paar Wochen im Jahr tauschen wir die Rollen und lassen uns anderswo von Landschaften und Sonnenuntergängen berauschen, als ob es zuhause keine gäbe.»

Weiter stellt Balzer die Frage, welche Art von Kultur wir im Tourismus suchen: Geht es um grosse Events wie Festivals und Aufführungen, oder um die Entdeckung und Vermittlung von Geschichte, Brauchtum und authentischer Lebensweise? Balzer plädiert für einen breiteren Kulturbegriff, der auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Tourismus und seiner Auswirkung auf die Region einschliesst. Dabei wird Kunst als ein wichtiger Faktor gesehen, der nicht nur zur Unterhaltung dient, sondern auch dazu, über das Phänome des Tourismus zu reflektieren und es in eine nachhaltige Richtung zu lenken.

In Bezug auf die zukünftige Entwicklung des Kulturtourismus schlägt Balzer vor, dass Graubünden als «Labor» für einen neuen Kultur-, Tourismus- und Naturbegriff dienen sollte. Um dies zu erreichen, ist ein intensiver Dialog zwischen Kulturschaffenden und Touristiker:innen notwendig. Beide Seiten müssen einander zuhören und ihre Expertise einbringen, um einen Tourismus zu gestalten, der sowohl kulturelle als auch ökologische Verantwortung übernimmt.

Abschliessend verweist Balzer auf den französischen Philosophen Bruno Latour, der einen neuen Naturbegriff formuliert hat, der die Erde als einen aktiven Akteur betrachtet, mit dem wir ständig in Beziehung stehen. Dieser neue Naturbegriff könnte auch im Kontext des Kulturtourismus eine wichtige Rolle spielen und die Grundlage für einen zukunftsfähigen Tourismus schaffen. Kulturschaffende sollten daher nicht nur als Unterhalter der Touristen gesehen werden, sondern als Mitgestalter des zukünftigen Tourismus.

Insgesamt fordert Balzer eine neue Denkweise über Kultur und Tourismus, die auf einem erweiterten Kulturbegriff basiert und die Verantwortung für die Natur und das gesellschaftliche Miteinander mit einbezieht.

Mathias Balzer

Beitrag im FRIDA Magazin

Den vollständigen Artikel im FRIDA Magazin von Mathias Balzer können Sie hier lesen.